Sowohl extrem scharfe Gerichte als auch einfache Übertreibungen oder große Mengen sind im Rahmen von Sozialen Medien beliebt. Die Tendenzen des extremen Essens bergen allerdings erhebliche Risiken: "Grundsätzlich handelt es sich dabei um einen Wettkampf, und dieser neigt dazu, ins Exzessive abzugleiten", erklärt Christina Holzapfel. Als Professorin und Leiterin der Arbeitsgruppe "Persönliche Ernährungsberatung und E-Gesundheitswesen" an der TU München befasst sie sich intensiv mit diesen Themen. Laut ihrer Einschätzung können diese Trends gefährlich werden, wenn man ihnen keine ausreichende Aufmerksamkeit schenkt oder sie nicht richtig einschätzt.
Efecan Kültür, ein türkischer Tiktoker, veröffentlichte nahezu täglich Videos, in denen er riesige Mengen an Nahrungsmitteln auf seine Zuschauer hinunterfraß – diese Inhalte wurden Millionen von Malen angesehen. Das Phänomen des Essens vor einer Kamera nennt man "Mukbang", und genau damit beschäftigte sich Kültür. Leider verstarb dieser junge Mann mit gerade einmal 24 Jahren infolge seines Übergewichts, wie verschiedene türkische Nachrichtenseiten meldeten. Laut diesen Berichten war er zuvor eine beträchtliche Zeit lang im Krankenhausbett liegend.
Hohe Gefahr durch Nachahmer
Und dies ist keine isolierte Angelegenheit: In den letzten Jahren haben Trenddiäten und insbesondere große Mengen an extrem scharfen Speisen mehrere Male zu Gesundheitsnotständen bei Social-Media-Nutzern geführt. Fachleute betonen die hohe Imitationsgefahr: "Falls manche dieser Videos sogar gefakert sind, könnte das wirklich problematisch werden", erklärt Harald Seitz vom Bundesministerium für Ernährung. "Niemand ißt normalerweise solche Portionen. Der Körper würde das ohnehin nicht verarbeiten können. Irgendwann wäre der Magen halt einfach überfüllt."
Die Auswahl der Nahrungsmittel spielt ebenfalls eine wichtige Rolle: Wie in vielen Videos gezeigt, werden häufig energiereich und kaloriendichte Lebensmittel konsumiert. Dies betont auch Expertin Holzapfel. Sie erklärt weiter, dass ein solcher Esshabitus als Ausnahme betrachtet werden sollte, denn er stellt die normale körperliche Funktion auf die Probe. Wenn man über seine Sättigungsgefühle hinaussstellt, kann dies zu unangenehmen Nebenwirkungen wie Übelkeit, Schwellung oder Bauchschmerzen führen, womit der Körper oft reagieren würde. Laut Holzapfel versucht der Körper dadurch, sich gegen diesen Überfluss abzuschirmen.
Einst war das Essen eine gemeinsame Erfahrung.
In den nulliger Jahren hat der "Mukbang"- Trend in Südkorea auf eine recht merkwürdige Weise begonnen: Ein Gamer, der auf der populären südkoreanischen Plattform "AfreecaTV" streamte, bekam plötzlich Hunger und sog lautstark Nudelsuppen aus einem Becher. Dieses Bild gefiel dem Publikum so sehr, dass schnell viele Menschen versuchten, es nachzuahmen.
Dieses Phänomen entsteht durch die Kombination der Begriffe "Muk-da" (Essen) und "Bang Song" (Senden/Radio), wodurch es treffend das Tun veranschaulicht: Man filmte sich bei dem Akt des Essens.
Das Auftreten dieses Phänomens in Südkorea war keineswegs zufällig. In einer Kultur, die stark vom Konfuzianismus beeinflusst wird, sind traditionelle Mahlzeiten stets durch strenge Rituale gekennzeichnet. Doch während Süd-Koreas Gesellschaft sich im Laufe der letzten Dekaden infolge der zunehmenden Modernisierung drastisch verändert hat, hat auch die Ernährungskultur einen Wandel erfahren. Junge Berufsangehörige, häufig an lange Arbeitszeiten gebunden und mit kurz gehaltenen Mittagspausen, müssen ihre Nahrungsmittel meist unter Druck rasch zu sich nehmen. Oft genug verzehren sie diese alleinstehend am Schreibtisch ihres Laptops statt gemeinsam in sozialen Gruppen um sich – ein Brauch, der früher als normativ gesehen wurde in dieser kollektivistischen Gesellschaft.
Laut Seitz förderte das gemeinsame Essen den sozialen Austausch: „Das bringt auch einepsychologische Vorteile mit sich“, erklärt der Fachmann.
Das Thema Nahrungsergüsse ist auf den sozialen Medien sehr prominent.
Diese Plattformen unterliegen bestimmten Richtlinien beim Überwachen ihrer Inhalte – wie z.B. TikTok, das eine Gemeinschaftsrichtlinie festgelegt hat, nach welcher möglicherweise bedrohliche Inhalte einer Altersbegrenzung underworfen werden müssen. Zunächst bieten sie lediglich die Plattform zur Verbreitung dieser Inhalte an, erklärt Holzapfel. Trotzdem ist es problematisch, dass keine Bewertung durch Fachleute stattfindet.
„Letztendlich ist Social Media einfach eine Plattform, auf der Menschen Nachschlag suchen und ihr Wissen erweitern können – und natürlich Informationen austauschen“, erklärt Holzapfel. Sicherlich haben diese Entwicklung auch einige Vorteile, wie zum Beispiel die Möglichkeit, sich gut vernetzen zu lassen. „Man findet z.B. zahlreiche Rezeptideeën und Koch-Videos für alle möglichen Diätarten.“ Das Gebiet der Ernährung spielt sich stark in den sozialen Netzwerken ab.
Allerdings besteht das Problem darin, dass "jeder behaupten kann, ein Experte zu sein, und dadurch diese Nachrichten weder auf evidenzbasierter Grundlage noch vom Fachwelt stammen", erklärt Holzapfel.
Nach Meinung von Seitz sind Regulierungen lediglich in begrenztem Umfang hilfreich. Eine vorwurfsvolle Einstellung werde wohl kein Desired-Effekt erzielen. Trotzdem ist die Aufklärung unverzichtbar. Es soll hingegen darum gehen zu betonen: Hier, schaut mal genau hin, wenn es um derartige Entwicklungen geht. Sie können lustig und Unterhaltsam sein, doch lasst euch dadurch nicht täuschen lassen.
RND/dpa